Ich bilde mir ja, wie vermutlich jede Mutter, ein, meine Kinder gleich zu erziehen. (Wobei ich das Wort erziehen gar nicht mag, es hat so einen merkwürdigen Beigeschmack.) Ich behandele nicht das eine anders als das andere. Natürlich gibt es Unterschiede – es liegen ja immerhin anderthalb Jahre zwischen ihnen und mit dem Kleinen kann ich noch nicht so vernünftig sprechen wie mit der Großen, aber alles in allem gehe ich mit beiden wohl recht ähnlich um.

Ich lobe oder ermahne beide, wir kuscheln alle gemeinsam, beide haben dasselbe Spielzeug, und so weiter und so fort.

Man könnte also eigentlich denken, dass sich sie die beiden recht ähnlich sind. Sind sie aber nicht. Sie unterscheiden sich so stark voneinander, dass man manchmal kaum glauben kann, dass sie tatsächlich Geschwister sind. Und dabei ist die Große stets so sehr Mädchen und der Kleine stets so sehr Junge, dass ich ins Staunen gerate, denn: Ich habe sie doch beide gleich behandelt?

Wo die Wachtel ruhig, zögerlich und vorsichtig ist, stürmt das Winterkind vor, stürzt sich mit einem Kampfschrei ins Getümmel und wird mit seinen nicht einmal anderthalb Jahren im Handumdrehen zum Anführer einer ganzen Bande Kinder, die fast doppelt so alt sind wie er. Da wird nicht lange gefackelt, sondern sich die Rutsche einfach kopfüber hinuntergestürzt, was sich auch nach mehrmaligem Zusehen keins der anderen Kinder wagt.

Die Wachtel dagegen hat viel mehr Geduld, ist sanfter (obwohl auch der Kleine eine sehr sanfte Seite hat) und empfindlicher. Sie mag Glitzer (wieso nur?), sie ist vernünftig, sie tanzt ihre sehr eigenwillige Form von Ballett, hat eine Phantasie, dass einem Angst und Bange werden kann, erzählt den lieben, langen Tag (so dass ich sie manchmal bitte, einmal fünf Minuten den Mund zu halten, weil mir sonst die Ohren abfallen), liest und malt und hört hingebungsvoll Musik. Alles Eigenschaften, die ich als eher weiblich einsortieren würde.

Der größte Unterschied aber, der mir immer wieder ins Auge springt: Nie und nimmer hat sie so einen Scheißelkram angestellt wie ihr kleiner Bruder! Natürlich hat auch sie mir manchmal den letzten Nerv geraubt, aber ich musste sie zum Beispiel nie aus dem Mülleimer fischen. Sie hat sich auch nie dafür interessiert, Dinge in die Toilette zu werfen. Das Schlimmste, an das ich mich erinnere, war eine Pirouette auf einer Tüte mit passierten Tomaten, die sie zuvor klugerweise auf unserem weißen Teppich plaziert hatte. Aber Leichtgewicht, das sie war, ging die Tüte nicht einmal zu Bruch und alles blieb sauber.

Der Einfallsreichtum des Winterkinds hingegen ist schier unerschöpflich, wenn es darum geht, den Haushalt in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Wie oft musste ich schon ein Pfund Reis oder Nudeln vom Boden aufsaugen, weil er sich zielsicher die eine Tüte griff, die bereits geöffnet war? Wie oft den Becherinhalt aufwischen? Unzählig sind auch die Male, die ich ihn, sobald er dazu in der Lage war (und das war er mit sechs Monaten) sich fortzubewegen, von Möbeln wieder herunterpflücken musste. Halsbrecherisch seine Unternehmungen, aber irgendwie doch immer von einem Schutzengel überwacht. Traumwandlerisch sicher, könnte man auch sagen.

Was ich bis vor kurzem auch noch nie gesehen hatte, war ein strahlend um die Ecke biegendes Kleinkind, in der einen Hand den Deckel des Honigglases, den anderen Arm bis zum Ellbogen mit einer dicken Schicht Honig bedeckt. Der Weg von Küche bis Wohnzimmer gepflastert mit einer klebrigen Masse, doch das Winterkind war glücklich.

Oder beide Kinder frühmorgens in einem Meer von getrockneten Nelken, was sich über den Fußboden in Küche, Essbereich und Wohnzimmer spannte und das ganze Haus mit intensivem Geruch versorgte. Lautes Lachen und strahlende Augen, bis ich zur Tür hineinkam und fragte: “Was ist denn hier passiert?”, woraufhin die Wachtel, begeistert und über und über mit Nelken bedeckt, diplomatisch erklärte: “Mama, das war ich gar nicht, das war der Arjen!” Soso.

Ich weiß nicht, vermutlich sind das alles ganz normale Begebenheiten im Leben mit Kleinkindern, aber es fasziniert mich sehr, dass der ganze Blödsinn fast ausschließlich von unserem Sohn ausgeht. Das Tochterkind guckt sich inzwischen seinen Teil davon ab und ist, einmal angestoßen, auch mit Eifer und Begeisterung mit dabei, aber von selbst würde sie nie auf solche Ideen kommen. Dieses rollentypische Verhalten scheint, zumindest bei unseren Kindern, sehr tief verankert zu sein.

Jetzt sind es noch etwa fünf Wochen, bis wir erfahren, was das Spünkchen wohl für ein Kind sein wird. Junge oder Mädel? Chaot oder Träumerin? Oder diesmal vielleicht ganz und gar untypisch? Ich habe keine Vorlieben, ich finde beides toll. Beides ist anstrengend, aber auf andere Art und Weise, und beides bringt einen auch zum Dahinschmelzen. Denn trotz des ganzen Blödsinns, trotz all der Flecken und Pfützen, ist es tatsächlich auch oft ein Bild für die Götter, dieser Anblick purer Entdeckungsfreude.

Ich bin gespannt, wann es hier das nächste Mal wieder Nelken zum Frühstück oder ähnlichen Unfug geben wird… lange wird es vermutlich nicht mehr dauern.